Fragen Sie Ihren Bestatter by Doughty Caitlin

Autor:Doughty, Caitlin
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406688218
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2016-03-20T00:00:00+00:00

Kurz und bündig ausgedrückt: Wenn man Sie nach der Einäscherung aus der Kammer fegt, sind auch winzige Teilchen der Maschine dabei, während ein gewisser Anteil ihrer Asche wiederum im Ofen verbleibt. «Vermengung» nennt sich das.

Und so stand ich auf verlorenem Posten, egal wie akkurat ich die Retorte mit dem Mini-Besen ausfegte, keinen Spalt und keine Ritze auszulassen versuchte. Und ich gab mir weiß Gott alle Mühe, hielt Ausschau nach den kleinsten Knochensplittern. Die heiße Luft versengte mir das Gesicht, wenn ich mich ein bisschen zu weit in die Ofenkammer beugte und in Ritzen verkantete Knochenstückchen mit dem Besen zu befreien versuchte, bis von den Strohborsten nur noch ein undefinierbarer Klumpen übrig war.

Einmal flog mir beim Ausfegen ein glimmendes Knochenstückchen entgegen. Als ich versehentlich darauf trat, brannte ich mir ein tiefes Loch in die Gummisohlen meiner Stahlkappenboots. «Hol dich der Geier!», brüllte ich und kickte den Knochen in hohem Bogen quer durch das Krematorium. Er landete irgendwo hinter ein paar Rolltragen. Nach fünf Minuten auf Händen und Füßen fand ich das verflixte Ding und verglich seine Form mit dem Loch in meiner Sohle. Ganzheitlich ist keine Option.

Natürlich kann man die Fragmentierung auch aus ganz anderen Blickwinkeln betrachten. Einen Monat später bewilligte mir Mike zwei (selbstredend unbezahlte) Urlaubstage, damit ich an der Hochzeit meiner Cousine in Nashville teilnehmen konnte. Am Nachmittag vor der großen Feier gönnten wir uns ein paar Stündchen in einem Wellness-Center und ich mir eine Auszeit im Massageraum, einer fensterlosen Luxushöhle mit Meditationsgedudel und Räucherstäbchenduft. Die blonde Masseurin, eine Südstaatlerin mit sanfter Stimme, plauderte leise mit mir, während sie meinen Nacken auf geradezu himmlische Weise verwöhnte.

«Was machen Sie denn beruflich, meine Liebe?», fragte sie über die rhythmischen Gesänge aus den Lautsprechern hinweg.

Soll ich ihr das wirklich sagen? Ihr tatsächlich verraten, dass ihre magischen Finger gerade Muskeln kneteten, die ich mir durch den Transport von Leichen und das Ausfegen riesiger Öfen antrainiert hatte?

Aber ja doch.

Ich rechnete ihr hoch an, dass meine Antwort sie keinen Sekundenbruchteil aus der Ruhe brachte. «Hmm … also, meine Verwandten in West Virginia halten diesen Einäscherungskram allesamt für Teufelswerk.»

«Und wie denken Sie selbst darüber?», fragte ich.

Ihre Hände ruhten auf meinem Rücken, während sie einen Moment lang innehielt. «Wissen Sie, ich bin wiedergeborene Christin.»

Zum Glück lag ich bäuchlings auf dem Massagetisch, so dass sie nicht sehen konnte, wie meine Lider flackerten, während ich überlegte, ob sie jetzt eine weitere Frage erwartete.

Eine lange Pause entstand, ehe sie fortfuhr. «Ich glaube daran, dass Jesus Christus am Tag des Jüngsten Gerichts erscheinen und die Seligen mit sich in den Himmel nehmen wird, und dazu brauchen wir natürlich unsere Körper. Aber – und das ist der Knackpunkt – was, wenn ich an irgendeinem Strand schwimmen gehe und mich ein Hai zerfetzt, ich also halb im Magen des Hais lande und der zerstückelte Rest von mir in den Wellen treibt? Also, mir kann keiner erzählen, unser Herr und Erlöser wäre nicht imstande, mich wieder ganz zu machen. Und wenn er die Macht besitzt, mich nach einem Angriff durch einen Hai wiederherzustellen, dann kann er das auch nach einer Einäscherung.

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